Sakrale Objekte
Wie profane Gegenstände zu sakralen Objekten werden, welche Rolle Geschichten und Inszenierung dabei spielen, darüber sprechen wir mit Claudia Höhl. Sie ist Leiterin des Dommuseums Hildesheim. In unserem Gespräch geht es außerdem um den Umgang und die Interaktion mit sakralen Objekten, wie auch um den symbolischen Gehalt einzelner Motive.
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Musik: Mine Pleasure Bouvar Wenzel | @mine_pleasure_bouvar
Dieser Podcast wird unterstützt vom Fachbereich Metallgestaltung der HAWK, der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim, Holzminden Göttingen sowie vom AStA der HAWK. Vielen Dank dafür!
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Transkription
Cathleen Kämpfe: Ruth und ich sind heute am Hildesheimer Dom und sprechen mit der Direktorin des Dommuseums Hildesheim, Claudia Höhl. Danke, dass wir da sein dürfen!
00:00:12
Cathleen Kämpfe: Frau Höhl studierte Kunstgeschichte, klassische und christliche Archäologie, sowie mittelalterliche Geschichte in Bonn und Berlin. Sie leiten heute das Dommuseum Hildesheims. Wir wollen heute mit Ihnen über sakrale Objekte sprechen, wie sie ihre Erinnerungen und Geschichten fort erzählen, welche Bedeutungen in ihnen liegt und auf welche Art und Weise sie Verwendung finden.
Eine Frage zum Einstieg: Was haben Sie sich aus dem Bereich Schmuck zuletzt gekauft?
00:00:41
Claudia Höhl: Mh, das ist gar nicht so einfach. Doch! Es war eigentlich eine Änderung und das passt sehr gut zur Geschichte. Mein Mann hat mir zur Hochzeit eine sehr schöne dunkle Perlenkette geschenkt. Aber wie das so ist, ich habe zwar nicht so oft einen dicken Hals, aber sie passte nicht mehr so gut. Und dann haben wir die Kette umarbeiten und helle Perlen dazwischen setzen lassen, vom Goldschmied. Und natürlich ist das der wunderbare Bogen hier zu den historischen Objekten im Museum. Denn natürlich ist es für mich, für meine Biografie oder für unsere Biografie ein sehr wichtiges historisches Objekt. Das aber weiter verwendet werden sollte und deswegen eine Aktualisierung erfahren hat.
00:01:08
A.S.Ruth Schneider: Total klasse, weil das schließt eigentlich komplett an unsere erste Frage an, wo es möglicher Weise auch um eine Aktualisierung eines Objektes geht, nämlich das Gründungsreliquiar der Stadt Hildesheim. Wir sind in Hildesheim und diese Stadt, beziehungsweise ihre Gründungsgeschichte steht ja in einem wesentlichen Zusammenhang mit einem ganz besonderen Objekt, eben diesem Marienreliquiar und vielleicht können Sie uns ein bisschen was über den Hintergrund und die Geschichte von dem Reliquiar erzählen. Und auch darüber, welche Rolle es spielte und auch noch heute in der Stadtgeschichte spielt.
00:01:53
Claudia Höhl: Ja. Nach Hildesheim gekommen ist dieser silberne Behälter, eigentlich eine kleine silberne Dose wenn man das so sagen darf, im 9.Jahrhundert. Wahrscheinlich ein Geschenk des damaligen Kaisers an den ersten Bischof von Hildesheim. Schon damals aufgeladen mit einer hohen Symbolträchtigkeit, wenn so etwas aus dem Privatbesitz, wenn man das so sagen darf, aus dem Besitz der kaiserlichen Familie in diese neue Gründung kommt. Das Wichtige ist aber zunächst eigentlich nicht diese silberne Dose, sondern der Inhalt. Nach der Überlieferung vorwiegend ein Stück vom Gewand der Gottesmutter Maria, das ist das Bedeutendste, was sich darin befunden hat. Und interessant ist sicher auch, dass wir heute gar nicht wissen, was sich darin befindet, denn es gab diverse Beraubungen und wieder Neubefüllungen, wenn man das so sagen darf. Und es gab vor einigen Jahren eine technologische Untersuchung, bei der man aber auch nicht wirklich rauskriegen konnte, was sich da vielleicht heute drin befindet. Es ist eine ziemlich fest gewordene, hart gewordene, Art Wachsmasse. Um jetzt weiter zu forschen, müsste man das zerstören. Und daraus folgte dann, naheliegender Weise bei einem so wichtigen, historischen Objekt, die Entscheidung, dass man das nicht tut. Sondern auch sehr bewusst, dieses ‚nicht genau Wissen‘ so lässt, wie es eben ist und wie es sich historisch entwickelt hat. Die Bedeutung, die kann man, glaube ich, gar nicht hoch genug einschätzen. Dieses Symbol, eigentlich auch der legitimen Funktion und Herrschaft des Bischofs ist eben ganz viel benutzt worden. Das wissen wir auch aus schriftlichen Quellen sehr gut. Es gab sogar, zumindest seit dem späten Mittelalter, ein extra Geschirr am Sattel des Bischofs, damit man das für unterwegs mitnehmen konnte. Weil es dann wirklich für repräsentative Anlässe, würde man heute formulieren, verwendet worden ist: Bei Vertragsabschlüssen oder bei wichtigen Besuchen. Und noch eine interessante Veränderung ist, dass man dann wahrscheinlich schon im 13.Jahrhundert neue... So eine Art Schmuck für diese Dose geschaffen hat mit Schmuckbändern mit Edelsteinen. Und das ganze hat man dann 1400 nochmal wieder umgeändert und mit einem Fuß auch versehen, um eben diesen Behälter zeigen zu können, irgendwo hinstellen zu können. Und es ist eben so, das bis heute bei einem Amtsantritt eines Bischofs dieser Gegenstand berührt werden muss. Und der ist dann in diesem Gottesdienst im Dom präsent und es kommt dann schließlich zu diesem Anreichen sozusagen.Der neue Bischof muss das berühren und erst dann ist er der richtige Bischof von Hildesheim.
00:02:34
A.S.Ruth Schneider: Häufiger stand es ja in Berührungszwecken, also bei der Schlacht von Dinklar beispielsweise oder generell zur Marienverehrung die in Hildesheim ja mit dem Dom auch den Anfang nahm. Wollen Sie vielleicht kurz erzählen, welche Geschichte um diese Stadt herum liegt, also warum ist dieses Reliquiar genau hier so bedeutsam?
00:05:23
Claudia Höhl: Was ich zunächst erzählt habe bezog sich ja auf das, wie es historisch abgelaufen ist.Aber Menschen erfinden immer sehr gerne noch spannendere Geschichten, die das Ganze dann vielleicht mit einer anderen Aura umgeben. Und es gibt eben seit dem 11.Jahrhundert eine Geschichte zur Gründung Hildesheims, die dann auch den schönen lateinischen Namen fundatio, also Gründung, trägt und da spielt das Reliquiar eine entscheidende Rolle. Dieser Kaiser, Ludwig der Fromme, macht einen Jagdausflug. Man hat dieses Gebiet kurz vorher erobert und es gibt eigentlich nur eine kleinere, etwas provisorische Befestigung ein paar Kilometer vom heutigen Hildesheim weg. Aber der Kaiser hat schon große Pläne, denn er möchte hier einen Bischofssitz gründen und einen Dom bauen lassen usw. Er weiß jedoch noch nicht so richtig, wo. Und nun ist man erst mal auf dieser Jagd unterwegs mit Gefolge, darunter auch ein Priester, ein Kaplan, der eben diesen Behälter mit dem Stück vom Gewand der Gottesmutter mit dabei hat. Und man feiert einen Gottesdienst unter freiem Himmel. Der Priester hängt den Reliquienbehälter an einen Baum. So wird es zumindest im Text geschildert. Und dann passiert, was nicht passieren dürfte: Er vergisst es am Baum als man wieder aufbricht und merkt das Ganze erst, als man in dieser Befestigung wieder angekommen ist. Natürlich schwingt er sich gleich aufs Pferd, reitet zurück, findet dann auch diesen Ort und er findet - Gott sei Dank - auch das Reliquiar, aber es lässt sich von diesem Ast nicht mehr runter nehmen. Da muss man natürlich die ganze peinliche Geschichte dem Kaiser gestehen und der sagt aber ganz großzügig: Das ist jetzt ein Wink des Himmels, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Gottesmutter und damit Gott selber wollten, dass diese Gründung hier erfolgt. Historisch betrachtet hatte Ludwig der Fromme sehr, sehr viele sehr gute Gründe, diese Gründung da eben vorzunehmen, denn Hildesheim war damals schon besiedelt, es gab dort die Kreuzung zweier wichtiger Handelswege, die Umgebung ist sehr fruchtbar. Es gab also viele sehr rationale Gründe, die der gute Ludwig mit Sicherheit auch kannte. Aber dieses symbolträchtige Gerät, sage ich jetzt mal, war natürlich sehr gut geeignet, jetzt noch einmal deutlich zu machen, dass da auch ein höherer Segen drüber liegt. Und diese Ebene, auch von irdischen und transzendenten, das ist etwas, was für Menschen oft sehr wichtig ist. Was noch dazu kam in der Zeit, in der diese Geschichte sozusagen kreiert wurde, die dann in ganz vielen Varianten weiter entwickelt wurde, ist ein Bischof, der plant den Dom nach Westen zu verschieben.Das heißt vom ursprünglichen Standort etwas abzuweichen. Dagegen gab es wohl eine erhebliche Opposition. Und möglicherweise diente die Geschichte dann auch dazu, diesen wahren Ort, der sich nämlich dann in diesem sogenannten Rosenstock, den es heute in Hildesheim noch gibt, zu manifestieren. Dort wo sich angeblich diese Pflanze befindet, an der das Ganze hängen geblieben ist. Also diesen wahren Ursprungsort besonders zu pushen und ins Bewusstsein zu holen.
00:05:48
A.S.Ruth Schneider: Das heißt, es ist nicht ein Objekt, das in etwas Sakrales eingeht, sondern auch noch Ort und Pflanze.
00:09:13
Claudia Höhl: Und das passt auch noch ganz wunderbar, wenn man jetzt auf den Aspekt der Gestaltung zu sprechen kommt, dass eben dieses silberne Reliquiar ein sehr schönes symmetrisches Rankenornament zeigt, das heute allerdings kaum noch zu erkennen ist, weil es eben so viel benutzt wurde. Es hat ganz starke Abriebspuren. Ein weiterer spannender Schritt der Erweiterung ist, dass man um 1400 eine Kopie macht mit fast identischem Reliquieninhalt. Wir wissen jetzt gar nicht so genau, warum. Das ist sehr ungewöhnlich, das hat man eigentlich so gut wie nie gemacht, weil es eigentlich immer um dieses Wahre, Echte, Ein und Einzige ging. Aber möglicherweise ging es doch darum, das Original zu entlasten von dieser Nutzungsvielfalt. Und wir wissen auch nicht so wirklich, weil beide passen in den neu gemachten Fuß, ob man immer so kundgetan hat, welches denn nun in Betrieb ist. Und vom Weiten, denke ich mal, kann man das gar nicht unbedingt unterscheiden.
00:09:23
A.S.Ruth Schneider: Auf jeden Fall. Und der Fuß, der extra angefertigt wurde, erhebt ja das Objekt ein bisschen vom Tisch. Das Objekt konnte sich einmal umgehängt werden und bekommt dann auch eine Nutzungsänderung oder -verwandlung. Dass es vielleicht gar nicht mehr per se für eine Schlacht oder einen Kampf mitgenommen wurde, dem liegt ja auch ein sehr brutaler Charakter inne, wie ich finde, so ein Objekt für eine kriegerische Auseinandersetzung mitzunehmen. Aber das ist vielleicht eine Form von einem Glücksbringer?
00:10:27
Claudia Höhl: Ja, ich denke, das hat etwas damit zu tun. Also weniger als Teil von Aggression, sondern als Schutz, ein bisschen wie ein Talisman oder so etwas. Damit der Schutz Gottes präsent ist und es ist durchaus nicht anzunehmen, dass der Bischof Gerhard vom Berge bei dieser berühmten Schlacht von Dinklar im 14.Jahrhundert wirklich das Ding im Ärmel hatte, davon müssen wir nicht unbedingt ausgehen. Aber auch das zeigt wieder, welche überhöhende Bedeutung so etwas haben konnte. Und dass da dieser Aspekt des göttlichen Schutzes und dieses göttlichen Willens, der sich dann auch in so einem Sieg manifestierte, zumindest aus Perspektive der Sieger, dass sich das eben auch materialisiert zeigen muss. Das ist, denke ich, auch etwas sehr menschliches. Nicht umsonst gibt es den Begriff von Trophäen, diese materiellen Dinge, die dann einen zeichenhaften Charakter bekommen, dass gehört ganz fundamental zu menschlichen Kulturen, nicht nur zu unserer.
00:11:05
A.S.Ruth Schneider: Auf jeden Fall. Etwas in eine sakrale Ebene möglicherweise hineinbringen. Und wir fragen uns, wie kann etwas sakrales oder heiliges erzählt werden und welche Rollen spielen Reliquien und Reliquiare dabei. Oder was steckt ganz allgemein in diesen Objekten drin?
00:12:10
Claudia Höhl: Ich denke, zunächst mal geht es immer um den Kontakt zu einem anderen oder zu etwas anderem. Das haben wir in unserem Alltag nach wie vor. Wenn ich mit Schulklassen im Museum bin, dann frage ich gerne, ob die zu Hause Reliquien haben. Dann sagen sie natürlich erst mal nein. Und spätestens nach fünf Minuten haben aber alle Dinge, die mit anderen Menschen zusammenhängen unddeswegen für sie besonders wichtig sind. Also die Uhr vom Großvater, die man geschenkt bekommen hat, gerade Schmuckstücke spielen oft eine sehr große Rolle. Oder auch das Fußballtrikot von Nationalspieler XY oder die berühmte Haarlocke, die man vielleicht noch hat. Bei mir ist auch im Kinderfotoalbum eine kleine Haarsträhne und da spielt gerade der Aspekt von Körper oft eine sehr große Rolle. Es sind oft Dinge, die mit dem Körper eines Menschen zu tun haben, die ihn uns besonders nahe bringen. Sehr nett fand ich auch die Geschichte: Ein kleines Mädchen erzählte gleich ganz stolz bei einem solchen Besuch im Museum, dass die Mutter Goldschmiedin wäre und sie habe den ersten raus gefallenen Milchzahn in eine goldene Hülle "verpackt" und das könne man jetzt als Schmuckstück mit sich herumtragen. Ein bisschen ähnlich verhält es sich mit den Reliquien, zumindest die Körperreliquien, aber auch Dinge, wie ein Gewandstück. Gewand kommt natürlich auch mit dem Körper in Berührung. Das schafft eine Verbindung zur Welt, eben dieser Heiligen, der heiligen Menschen, die schon bei Gott sind und die nach damaliger Vorstellung eben für diejenigen beten können, die das noch nicht geschafft haben. Dahinter steht die große Frage: Was passiert nach dem Tod? Habe ich eine Chance oder gibt es das überhaupt, diese Welt Gottes, in die ich da vielleicht kommen kann? Welche Mittel und Wege stehen mir zur Verfügung, das eventuell zu beschleunigen oder zu unterstützen? Und wenn es dann andere Menschen gibt, die das schon geschafft haben, dann können die vielleicht unterstützend einwirken. Diese ganz menschlichen Gedankengänge, die auch unser normales Leben durchaus beeinflussen, also wer kann mir vielleicht helfen, sei es im Beruf, wer kann für mich ein gutes Wort einlegen, das spiegelt sich in dieser Beziehung zu den Heiligen, die diese Mittlerfunktion übernehmen können. Dann ist es so, wenn diese Heiligen so wichtig sind und wenn sie in Verbindung stehen mit der Welt Gottes, dann verdienen sie auch nur die kostbarsten und schönsten Materialien. Also das können textile Materialien sein wie z.B.Seide oder Edelmetalle. Diese Beziehung, gerade von Edelmetallen und Edelsteinen zu dieser göttlichen Welt, das ist eben auch etwas, was wir in ganz vielen Kulturen beobachten können. Und dann dieser Versuch mit diesem Glanz von Gold und Silber diese Pracht... Wir benutzten dann auch im Christlichen Wortschatz immer das Bild der Herrlichkeit Gottes und damit assoziieren wir eben ganz oft etwas, was Glanz und Schönheit und Pracht usw. transportiert. Dann sind solche Materialien natürlich angesagt.
00:12:32
Cathleen Kämpfe: Ja, das passt auch wieder gut zu unserer nächsten Frage. Wie lässt sich die Geschichte an Objekten ablesen? Es gibt ja zahlreiche Geschichten und nicht immer sind sie historisch 1:1 überliefert worden. Wo findest sich der Zugang zu solchen Objekten und ihren Geschichten und welche Rolle spielen Materialien, Materialherkunft bzw. auch Migration dabei?
00:15:52
Claudia Höhl: Das sind ganz viele Fragen auf einmal. Auf der einen Seiten haben wir die Geschichten, die wie die, die ich eben erzählt habe mit der Schlacht von Dinklar, die einfach in der Schriftüberlieferung da sind, mit ihren ganzen Veränderungen, Verästelungen, Umdichtungen usw... Und die man untersuchen kann, erforschen kann und das gehört unbedingt mit zur Objektgeschichte. Dazu gehören aber auch Informationen zur Nutzung oder auch einfache Auflistungen, also wie oder wann wird überhaupt so ein Objekt erwähnt, in welchen Zusammenhängen, wer hat wann, wie, wo, was damit im Gottesdienst oder auch nicht. Da kann man mit klassischen historisch-wissenschaftlichen Methoden arbeiten. Aber was für Kunsthistoriker*innen natürlich ganz vorne weg wichtig ist, sich mit dem Objekt selbst auseinanderzusetzen. Was kann ich an diesem Objekt beobachten? Gab es Veränderungen an dem Objekt? Was wissen wir über Zutaten, die da später drauf gebracht worden sind? Und beim Gründungsreliquiar gibt es nicht ganz so viel, was das Thema Migrationshintergründe angeht, aber bei anderen Objekten. Wir haben z.B. ein sehr schönes Reliquiar, das hier aus dem Stift Heiligkreuz stammt, das so genannte Katharinenreliquiar. Da sind keine Körperreliquien drin, sondern Öl, das am Grab der heiligen Katharina im Sinai Kloster gebrannt hat. Und dieses Reliquiar kopiert in der Form das Gründungsreliquiar, eine halbrunde Form, nicht so furchtbar riesengroß. Das heißt, man hat auch deutlich später, das stammt aus dem 13.Jahrhundert, zunächst diese alte Form nachgemacht, um diese Form zu zitieren, das ist das eine. Es ist dann aber nicht aus Silber, sondern zum Teil vergoldetes Silber, aber auch mit Edelsteinen und da ist z.B. ein Stein drauf, der aus dem persische Bereich stammt, also der einen sassanidischen Hintergrund hat, mit einer kleinen persischen Inschrift und einem Löwen. Ganz oft erzählen die Objekte etwas über diese Integration "fremder Dinge", wenn wir den Begriff fremd hier mal verwenden wollen. Entweder aus der antiken Tradition, dass Steine verwendet werden, die schon 1000 Jahre alt waren, als man die drauf gebracht hat, eben aus der Römischen Antike.Oder genauso gut aus dem persischen Bereich, aus dem arabischen Bereich, wo die Dinge mitverwendet werden, weil sie besonders wertvoll, besonders selten waren und eben mit dazu beitragen konnten, diese hohe Wertschätzung gegenüber dem heiligen Inhalt dann zum Ausdruck zu bringen.
00:16:13
Cathleen Kämpfe: Das ist mir bei meinem Besuch im Dommuseum aufgefallen, dass sich einige sehr prunkvolle Objekte durch das persische Kunsthandwerk zeichnen. Sehr beachtlich, sowohl in der textilen Verarbeitung, wie auch in der Metallverarbeitung, in einzelnen Symbolen, da gibt es einige Ausstellungsobjekte.
00:19:14
Claudia Höhl: Ja, ja! Das ist halt so. Kulturen sind damals schon vernetzt. Also die Vorstellung, es habe so sorgfältig nebeneinander existierende geschlossene Welten gegeben, das hat noch nie funktioniert. Und man ist ja auch in vieler Hinsicht auf solche Importe angewiesen in Mitteleuropa. Auch weil man bestimmte Dinge selber nicht kann. Seide kann man selber nicht machen, wenn man Seide haben will, dann muss man die entweder aus Byzanz oder aus islamisch geprägten Regionen einführen und dann kommen eben solche Stoffe aus dem heutigen Iran, Irak oder aus Spanien, aus dem damals ja teilweise islamischen Spanien nach Mitteleuropa. Genauso bestimmte Herstellungstechniken, Gusstechniken, aber eben auch z.B. geschnittene Steine oder auch Dinge mit arabischen Inschriften. Wir wissen ja alle, dass gerade arabische Kalligrafie einfach wunderschön ist. Das ist ein ästhetischer Reiz, der damit verbunden ist und man sieht halt, oder sah damals schon, wenn man so was vorgezeigt hat, das kommt von ganz weit weg. Also wenn ich es mir leisten kann, das hier zu verwenden, dann gehört das zur eigenen Image-Anhebung. Das spiegelt sich in vielen Kirchenschätzen in Europa, dass man diese ganz vielfältigen Verflechtungen da nachvollziehen kann, an den konkreten Gegenständen.
00:19:29
A.S.Ruth Schneider: Es sind ja auch mit Sicherheit schlicht Handelswege und -beziehungen gewesen. Mich würde jetzt noch interessieren, welche Rolle auch heilige sakrale Objekte für die Statusmarkierung von Personen spielen, beziehungsweise inwiefern vielleicht auch Personen in Objekte fließend übergehen. Also Sie hatten eben unten im Foyer etwas von der heiligen Madonna erzählt, der goldenen Madonna, der auch Schmuck geschenkt wurde, vielleicht wollen Sie das nochmal ausführen?
00:20:53
Claudia Höhl: Ja, das ist dann auch nochmal interessant. Also die sogenannte Große goldene Madonna ist eine nicht ganz lebensgroße, aber doch recht großformatige Statue, die die sitzende Gottesmutter mit Christus auf dem Schoß zeigt. Diese Bildwerke stehen ganz am Anfang vollplastischer Gottesbilder in unserer Kulturtradition. Sie besteht aus einem Holzkern und ist mit Goldbeschlägen geschmückt. Das ist ja auch etwas, wenn ich sozusagen die Kleidung dieser Figur gestalte und dazu Edelmetall verwende, dann ist das natürlich auch eine Entscheidung und dann auch noch die Schmuckborden, also eigentlich das, was im Gewand gestickt oder sonst irgendwie dekoriert wäre, das dann mit Edelsteinen zu besetzen. Dann kommt aber noch dazu, dass man im Lauf der Jahrhunderte immer neue Schmuckstücke an diesem Bildwerk befestigt hat, die man ihm geschenkt hat. Und wir wissen, dass es nicht nur Schmuckstücke waren. Es gibt sogar Listen, dass das, ich weiß nicht, zig Ringe und Ketten und auch Gewänder gewesen sind. Also man hat ihr auch seidene Gewänder geschenkt, wir wissen nicht, ob sie auch bekleidet worden ist. Das wissen wir aus anderen Kirchen, dass das praktiziert worden ist.
00:21:30
A.S.Ruth Schneider: Ist das zur Wertschätzung oder Ehrung gewesen?
00:22:44
Claudia Höhl: Ja, aber auch zur Inszenierung. Wenn ich eine Figur bekleide, dann kann ich sie natürlich auch...Das ist ja wie bei Menschen, also man zieht vielleicht zu Weihnachten etwas anderes an als Alltags. Das heißt,wenn ich etwas, auch in unterschiedlichen Kontexten, häufig verwende, kann ich nochmal etwas andere Akzente setzen.Wenn ich dann auch bestimmte Dekorationsteile vielleicht zur Anwendung bringe, die dann bei anderer Gelegenheit vielleicht nicht zum Einsatz kommen. Man muss sich das sehr lebendig vorstellen. Diese Gegenstände standen nicht einfach im Schrank und wurden einmal im Jahr abgestaubt, sondern die wurden in den unterschiedlichsten Kontexten gezeigt und benutzt und herum getragen und waren wirklich ein Teil von Inszenierung.
00:22:48
Cathleen Kämpfe: Ich muss bei dem Anziehen und Kleiden von Figuren gleich an Puppen denken. Die Vorstellung, dass sie richtig bekleidet wurde, finde ich sehr speziell.
00:23:34
Claudia Höhl: Und zum Teil in ritualisierter Form, dass dieses Anziehen und Ausziehen im Kontext bestimmter Abläufe vorkommt. Genauso wie Verschleiern und Entschleiern, Verhüllen, Enthüllen. Das sind ja bestimmte Dinge, wo ich Spannungsmomente schaffen kann. Sichtbar machen, unsichtbar machen, das ist schon etwas, was viele Möglichkeiten bietet und was es halt auch in vielen Kulturen gibt.
00:23:41
A.S.Ruth Schneider: Ja. Dabei gibt es ja im Dommuseum schon viele Objekte, die Personen mit abbilden oder Figuren mit abbilden, aber da häufig in der Sammlung. Also hier sind jetzt die Jünger usw., aber es gibt ja vor allem Jesus Christus und die Madonna und ab und an noch so vereinzelte Personenabbildungen, aber ansonsten sind die Personen ja alle über Reliquien in den Objekten abgebildet. Also ich dachte mir gerade: Ach ja, ist ja spannend, dass es gar nicht so viele Personenabbildungen gibt.
00:24:13
Claudia Höhl: Ja, also das kommt natürlich ganz darauf an, wo und im Dom gab es noch sehr viel mehr. Der Dom, wie er heute in dieser relativ schlichten Gestaltung ist, hat nicht mehr so viele Bilder. Aber man muss sich nur den einzigen noch erhaltenen barocken Altar anschauen, da sieht man, dass mehr Personal zu sehen war und die hatten natürlich nicht alle im Einzelfall einen Reliquieninhalt. Bei der Goldenen Madonna wissen wir z.B. nicht, ob sie einen hatte, das war offenbar nicht zwingend. Man musste das nicht kombinieren, weil das Bild einen eigenständigen Wert hat als Gegenüber. Wir suchen in unserer Kulturtradition im religiösen Bereich, das ist in der Antike schon so, dieses Gegenüber. Und die theologische Begründung, mit der man das ohnehin rechtfertigen konnte, war die christliche Überzeugung, dass Christus wahrer Mensch und wahrer Gott gleichzeitig ist. Wenn aber Gott als Mensch auf der Erde gelebt hat, dann darf ich ihn als Mensch zeigen. Darum ist auch Maria so wichtig, weil sie die Frau ist, die Gott diese Menschlichkeit und diese Körperlichkeit ermöglicht hat. Man wusste natürlich damals schon, dass das Kind im Mutterleib aus dem Körper der Frau kreiert wird.
00:24:51
Cathleen Kämpfe: Das war ein schönes Beispiel für die nächste Frage. Ich stelle sie trotzdem. Wie stellen Objekte ihre über Jahrhunderte laufende Präsenz und Erzählung fort? Wahrscheinlich über diese Rituale, die Sie bereits erzählt haben, über Geschichten, Aufschreiben, Weitererzählen?
00:26:12
Claudia Höhl: Ich denke mal, ganz wichtig ist oft, dass sich dieser Umgang mit den Objekten immer wieder verändert. Und das macht sie immer wieder interessant, selbst wenn man den Bogen weiter spannt, aus dem Religiösen heraus in den kulturell-musealen Kontext. Sich dann wieder klar zu machen, um bei dem Beispiel der Goldenen Madonna zu bleiben, dass man die Statue lange Zeit als reines Museumsstück präsentiert hat, was historisch bedingt ohne Köpfe war.Denn im 17. Jahrhundert wurden die originalen Köpfe entfernt. Nach wissenschaftlich strengen Kriterien zeigt man, wenn man das als Meisterwerk der Kunst um das Jahrtausend zeigen will, nur den Originalbestand. Das ist die wissenschaftlich-kunsthistorische Herangehensweise. Als wir aber dieses Bildwerk in die Museumsausstellung integriert haben, wo es in diesem Raum um das Thema der Herrschaft geht und auch dieser Vorstellung der Herrschaft Gottes, war klar, dass das nicht ohne Köpfe geht. Weil wir in diesem Bild etwas ansehen wollen, was auch ein Gesicht hat. Und dann haben wir einen zeitgenössischen Künstler gebeten, neue Köpfe zu machen. Das heißt, diese Geschichte des Bildwerks, die geht immer weiter, die ist nicht abgeschlossen. Das ist bei vielen anderen Dingen im musealen Kontext durchaus ähnlich. Also die Vorstellung, das ist jetzt im Museum und damit ändern sich nicht mehr die Kontextualisierungen, das stimmt nicht.
00:26:26
Cathleen Kämpfe: Ja. Das die Objekte hier nicht nur im Museum sind, sondern teilweise raus genommen werden, und in derzeitige Handlungsabläufe eingebunden werden, ist ja auch sehr besonders für dieses Museum.
00:28:00
Claudia Höhl: Naja, das ist für andere Museen eher untypisch, dass man die ursprüngliche Nutzung nach wie vor beibehält, aber selbst im "normalen" Museum werden die Objekte immer wieder in andere Zusammenhänge gebracht. In andere Ausstellungen, es gibt andere Fragen, die in der Gesellschaft auf einmal aufgekommen sind. Sie haben ja eben gefragt nach diesem Migrationsthema. Das hätte man vor 30 Jahren so in der Form vielleicht gar nicht so gestellt, weil das für die Gesellschaft nicht in der Art ein relevantes Thema war, wie es das heute ist. Von daher hört das mit den anderen Zusammenhängen eigentlich nie auf. Auch wenn wir sie dann nicht mehr in diesen, ich sage jetzt mal, klassischen, religiösen Zusammenhang ausstellen, sondern aus anderen, menschlich-gesellschaftlichen Zusammenhängen, gehört das trotzdem zusammen. Das sollte man nicht so trennen.
00:28:10
Cathleen Kämpfe: Ja. Zusätzlich zu den historischen Objekten, die hier liegen und Jahrhunderte alte Geschichten haben, kommen im Museum auch neue Ankäufe, bzw. relativ neue Werke hinzu. In welchem Verhältnis stehen die zu den Ausstellungsobjekten und wie kam es zu den Ankäufen? Also ich habe im Museum sehr, sehr große Objekte gesehen, das eine Holzkreuz, was dort ausgestellt wurde...
00:29:12
Claudia Höhl: Arnulf Rainer.
00:29:36
Cathleen Kämpfe: ...was wirklich sehr modern anmutet. Können Sie uns dazu was erzählen?
00:29:37
Claudia Höhl: Ja, was die Neuankäufe angeht, da überwiegen die zeitgenössischen Sachen. Das liegt natürlich auch daran, dass qualitativ hochwertige historische Objekte, die für uns interessant sind, weil sie mit uns was zu tun haben, ja gar nicht so tonnenweise auf dem Markt sind. Manchmal gelingt dann so was mit Unterstützung vieler, vieler Geldgeber, wie der Ankauf dieses einen schönen Aquamaniles, dieses Wassergießgefäßes. Aber so was kostet dann 1,3Millionen Euro, das kann man nicht so eben aus der Portokasse bezahlen. Ansonsten ist es uns wichtig die Sammlung zu erweitern, eben mit Kunst, mit Kunstwerken, die zur Sammlung passen. Nicht in dem Sinne, dass sie eine religiöse Thematik haben, sondern dass sie entscheidende menschliche Fragen thematisieren, z.B. die Frage nach der Gestalt des Menschen, nach dem Körper des Menschen. Wir haben von dem Künstler Walter Moroder, der die Köpfe der Goldenen Madonna gemacht hat, auch eine lebensgroße Statue gekauft und eine kleine Bronzestatue, weil das für uns ein ganz wichtiges Thema ist. Wie wird heute auch noch Mensch dargestellt? Auch in seiner Körperlichkeit, es gibt ja nicht nur abstrakte Kunstwerke. Das ist in der Kunst etwas, was immer weiter geht. Etwas, das nicht im Mittelalter oder im 19.Jahrhundert aufgehört hat, sondern diese große Frage: "Wie sehen wir uns selber? Wie sehen wir uns als Menschen?", ist eine unendliche Geschichte.
00:29:39
A.S.Ruth Schneider: Zumindest ich habe das Gefühl, wenn ich im Dommuseum bin, dass ich mir diese Fragen auch immer ein bisschen stelle. Einfach aufgrund dieser ganzen Objekte, ihren Hintergründen und wie alt sie sind usw. Können Sie uns vielleicht noch einen Ausblick geben, was als nächstes im Dommuseum ausgestellt wird, bzw. es wird ja eine Ausstellung geben, hier liegen auch Flyer auf dem Tisch, Islam in Europa 1000-1250. Und wir haben uns gefragt, wie kam es zu der Ausstellung? Ich weiß nicht, ob Sie schon etwas anteasern können?
00:31:06
Claudia Höhl: Ja, aber immer gerne, die Gelegenheit nutzt man ja immer gerne. Das ist ein Projekt, an dem wir schon seit vier Jahren dran sitzen. Weil Ausstellungsvorbereitungen so eine Zeit brauchen. Da ist eben der Ausgangspunkt die relativ große Zahl von Objekten, die wir haben, die eben den berühmten Migrationshintergrund aus islamisch geprägten Regionen haben. Da kämpft man schon ein bisschen mit der Terminologie. Wir haben das dann so ein bisschen schlagwortartig Islam in Europa 1000-1250 genannt, aber man muss da schon immer wissen, dass diese islamisch geprägten Regionen religiös völlig multiple Regionen gewesen sindAlso ganz vielfältige Gesellschaften mit ganz unterschiedlichen religiösen Ausrichtungen. Trotzdem denke ich, ist es eine prägende Kraft in diesen Bereichen gewesen, in Nordafrika, in Vorderasien usw. Das Interessante ist eben, sich immer wieder zu fragen: Wie sind denn diese Dinge überhaupt hierher gekommen und warum? Was hat man damit gemacht? Und es bot sich an, das jetzt zu machen zu diesem sogenannten Godehard-Jahr, weil man da besonders viel in dem Schrein des heiligen Godehard, dieses heiligen Bischofs, der sich hier im Dom befindet, vor einigen Jahren gefunden hat, als der Schrein saniert werden musste. Diverse Seidenstoffe mit einem ganzen Spektrum an migrantischen Hintergrund. Von daher, denke ich, kann man sich da ein bisschen klar machen, dass das zur gewachsenen Geschichte, was ich eben schon mal angedeutet hatte, dazugehört. Diese ganz vielfältigen Kontakte, die wir dann z.B. im wissenschaftlichen Bereich haben, wenn man das vom Domschatz loslöst, hier in der Bibliothek gibt es Handschriften aus dem 12.Jahrhundert wo man lateinische Texte aufgeschrieben hat, die aber Rückübersetzungen aus dem Arabischen waren, weil die antiken Originale nicht mehr greifbar waren. Wo man diese vielfältig verschlungenen, ineinandergreifenden Wege, die wir auch mit dem Islam, wenn man das jetzt etwas verkürzt sagen darf, oder mit dieser islamischen Welt, die uns damit verbinden. Sich diese gemeinsamen Wurzeln klarzumachen, das ist einer der Hintergründe der Ausstellung.
00:31:48
A.S.Ruth Schneider: Da freue ich mich sehr drauf.
Cathleen Kämpfe: Ich mich auch.
A.S.Ruth Schneider: Das sehe ich tatsächlich als sehr notwendig an, auch in der aktuellen Zeit, in der wir leben.
00:34:05
Claudia Höhl: Natürlich, das war auch einer der Gründe. Das ist das, was ich eben auch schon meinte. Man reagiert ja immer auf aktuelle Fragestellungen und diese Ausstellung ist eben ganz aus den Objekten heraus entwickelt. Also wir befragen die Objekte nach diesen vielfältigen Spuren und da ist man völlig geplättet, was man da alles findet. Ganz unterschiedliche Aspekte, ob es sich um das Schachspiel handelt, das als Spiel importiert wird, aber auch in Gestalt von Schachfiguren, bestimmte Techniken usw.. Wir finden es sehr wichtig, dass man dieses Gemeinsame stärker in den Vordergrund rückt, weil unsere Gesellschaft, meiner Meinung nach, ein bisschen sehr am Polarisieren krankt. Polarisieren kann manchmal hilfreich sein und man muss sich auch über Probleme auseinandersetzen.Aber das Heraufbeschwören von Unversöhnlichkeit ist in der Regel nicht zielführend. Wenn man mal ein bisschen die Augen aufmacht und guckt, dann entdeckt man auf einmal, wie viel man eigentlich gemeinsam hat und das Gemeinsame ist auf jeden Fall die bessere Basis für eine Zukunft.
00:34:15
A.S.Ruth Schneider: Auf jeden Fall. Und ich kann mir auch gut vorstellen, dass wir in der Ausstellung wieder einmal sehen oder auch spüren werden, wie Objekte Historie und Geschichten erzählen. Und einfach wesentlich sind für Geschichtsschreibung. Hast du noch eine Frage? Haben Sie noch Gedanken? Ich hatte mich vorhin ein bisschen gefragt...Haben Sie so etwas wie ein Lieblingsobjekt? Weil ich habe so etwas, vielleicht auch zwei oder drei.
00:35:24
Claudia Höhl: Naja, also Stichwort Goldene Madonna, mit der habe ich mich öfter befasst. Aber jetzt im Kontext dieser Ausstellung Islam in Europa, habe ich mich nochmal mit einem Leuchterpaar mit einem sehr komplexen Bildprogramm befasst und wirklich auch, meiner Meinung nach, neue Erkenntnisse dazu gewonnen. Allein dieses Leuchterpaar zu begucken, das lohnt sich auf alle Fälle und darüber ins Nachdenken zu kommen. Ich verrate jetzt nur etwas zu dem einen Leuchter, damit nicht schon alles hier im Vorfeld bekannt ist und dann keiner mehr kommen will. Weil der eine Leuchter mit die älteste Darstellung der damals bekannten Erdteile ist, wir befinden uns im 12.Jahrhundert. Da kennt man nur Afrika, Asien und Europa. Die sind da dargestellt als weibliche Personifikationen, also als kleine Frauenfiguren, die auf diesem Leuchter sitzen. Die Asia hat ein Gefäß mit Perlen oder so und die Aufschrift "Reichtum", natürlich auf Latein, also Asien galt als Herkunftsgegend von Edelsteinen, Edelmetall usw... Dann haben wir Afrika - und das überrascht uns vielleicht heute - mit einem Buch und der Aufschrift "Weisheit" oder "Wissenschaft". Das hängt aber damit zusammen, ich hatte das schon angesprochen, dass man Wissenschaft, wissenschaftliche Erkenntnisse, auch mathematische Erkenntnisse usw. aus dem nördlichen Afrika importiert hat. Ganz viele wichtige Kirchenväter, frühe Theologen stammten aus Nordafrika. Das ist nicht dieses Afrika-Bild, was bei uns gerne transportiert wird, dass es dort so primitiv und haste nicht gesehen ist. Und dann haben wir Europa mit der Aufschrift "Krieg". Da kann man auf der einen Seite, also es ist richtig das von dem Hintergrund der damaligen Sichtweise zu interpretieren, wo diese Wehrhaftigkeit positiv konnotiert worden ist. Aber wenn man es längerfristig historisch betrachtet, hat diese auch militärische Überlegenheit Europas ihre negativen Nebenwirkungen gehabt, um es mal vorsichtig zu formulieren. Von daher können solche Objekte wirklich zum Nachdenken anregen. Auch jenseits dieser historisch enger gefassten Entstehungskontexte.
00:36:00
Cathleen Kämpfe: Das war ein super Beispiel zum Abschluss, glaube ich, was in diesen Objekten stecken kann und der Verweis auf die neue Ausstellung, auf die ich mich wirklich sehr freue. Vielen Dank für Ihre Zeit!
00:38:30
Claudia Höhl: Sehr gerne!
00:38:40