Glanz & Kante

über Hunter From Elsewhere – A Journey With Helen Britton

SCHMUCK RÜCKBLICK II

Über 4 Jahre hat Elena Alvarez Lutz die Künstlerin Helen Britton mit der Kamera begleitet. Der Dokumentarfilm „Hunter From Elsewhere – A Journey With Helen Britton” erzählt von dem Blick auf Alltagsgegenstände und vermeintliche Banalitäten, von dem verortet Sein in mehreren globalen Regionen und dem Transformieren und Übersetzen von Erinnerungen sowie Prägungen mit Wertschätzung in Hingabe in Kunst. Mit Elena Alvarez Lutz sprachen wir über den Prozess der Entstehung und Entwicklung des Dokumentarfilms, über ihre Rolle aus Regisseurin und die Bedeutung eines Netzwerkes von Unterstützenden.

LINKS zur Episode

Elena Alvarez Lutz auf instagram | @elenaalvarezfilmmaker
Filmproduktion | http://ochobarcos.de/productions/
in der ArtAurea | https://artaurea.de/2022/zeitreisen/autorin-und-filmemacherin-elena-alvarez/

Helen Britton auf instagram | @helenbrittonartist
Website | https://www.helen-britton.com/

DANKE

Musik: Mine Pleasure Bouvar Wenzel | @mine_pleasure_bouvar

Dieser Podcast wird unterstützt von dem Fachbereich Metallgestaltung der HAWK, der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim, Holzminden, Göttingen sowie dem AStA der HAWK. Vielen Dank dafür!

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A.S. Ruth Schneider: Ein Hallo aus München zu unserem kleinem SCHMUCK // Munich Jewellery Week Spezial und Rückblick. Wir sprachen mit Elena Alvarez Lutz. Sie wurde 1964 in München geboren, wuchs in Madrid und Malaga auf. Sie studierte an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Als Autorin und Regisseurin arbeitet sie für das Bayrische Fernsehen. 2020 gründete sie ochobarcos/eightboots Filmproduktion. Mit dieser entstand der Dokumentarfilm Hunter from Elsewhere – A Journey with Helen Britton und das Kunstvideo saddling of a mule. Wir sprachen mit ihr über den Prozess, die Entstehung und die Herangehensweisen an den Dokumentarfilm „Hunter from Elsewhere – A journey with Helen Britton“. Helen Britton ist eine Künstlerin, welche auch viel mit Schmuck arbeitet und einige Jahre von Elena Alvarez Lutz begleitet wurde.

00:00:22

Cathleen Kämpfe: Hallo! Vielen Dank, dass das heute so spontan klappt zur Munich Jewellery Week. Morgen ist ja die Premiere von dem Dokumentarfilm über Helen Britton. Und als erstes möchten wir eine Frage stellen, die wir allen unseren Podcast Interviewpartner*innen stellen. Und zwar: Was hast Du Dir aus dem Bereich Schmuck zuletzt gekauft?

00:01:47

Elena Alvarez Lutz: Ich habe mir etwas gekauft, was ich gerade anhabe. Diese Kette. Und diese Kette hat meine Tochter gemacht. Meine Tochter ist Silberschmiedin und hat in Neugablonz gelernt und heißt Paula. Und diese hat sie bei einem Praktikum bei Ike Jünger gemacht. Also man sieht den Einfluss von Ike Jünger, aber es ist auch was ganz eigenes. Sie hat lange daran gearbeitet und sehr viel gelitten wegen den Verbindungen, dem Lot und dem Email. Sie hat das tierisch oft wieder und wieder machen müssen. Und dann habe ich gesagt, ich kaufe sie ihr ab. Sie ist noch nicht fertig ab gezahlt. Ich zahle in Raten. Aber ich freue mich sehr. Ich mag sie sehr gerne und trage sie auch viel. Sie hat gesagt, ich dürfe sie nicht so viel tragen, weil sie zerbrechlich ist. Aber ich bin jemand der, wenn er Schmuck kauft – ich trag es einfach.

00:02:05

Cathleen Kämpfe: Wie schön. Das ist ja auch von den Formen und Farben her recht auffällig. Sie liegt auch total schön am Hals. Obwohl es ja alles relativ lange Rechtecke, beziehungsweise…

00:02:56

Elena Alvarez Lutz: Ja sie ist eckig, aber trotzdem relativ verspielt. Allein so etwas begeistert mich total, dass sich das so auf jede Seite hin und her dreht. Die Farben. Man kann sie auch wenden, es ist eine Wendekette. Und der Verschluss. Ja, ich mag sie wahnsinnig gerne.

00:03:06

Cathleen Kämpfe: Die Haptik auch, oder? Du hast sie gerade so in der Hand.

Elena Alvarez Lutz: Sie ist fröhlich.

A.S.Ruth Schneider: Ich glaube ich mag das Geräusch.

Cathleen Kämpfe: Das Geräusch ist auch total schön, hoffentlich haben wir das drauf.

Kette: macht Geräusch

00:03:22

Cathleen Kämpfe: Das passt auch zu unserer Musik. Unsere Musik wurde auch aus den Geräuschen der Schmuckstücke zusammengeschnitten.

00:03:38

A.S. Ruth Schneider: Genau, von der Person, die uns die Musik gemacht hat: Mine Pleausure Bouvar Wenzel.

00:03:44

A.S. Ruth Schneider: Du hast ja einen Dokumentarfilm über Helen Britton oder mit Helen Britton gedreht: Hunter from Elsewhere – A journey with Helen Britton. Wir fragen uns, wie kam es zu diesem Dokumentarfilm und was ist der Hintergrund dessen?

00:03:55

Elena Alvarez Lutz: Also ich habe Helen Britton kennengelernt, als sie Gaststudentin bei Otto Künzli war, Ende der 90er Jahre. Ich glaube, dass war entweder 98 oder 99. Da war sie ein halbes Jahr hier. Und ich war in einer Jury. Der Werkstattleiter von der Schmuckklasse der Münchner Kunstakademie, Matthias Mönnich fragte mich, ob ich nicht Lust hätte an einer Jury teilzunehmen. Die hieß Schmuck und Film. Das heißt, da ging die Klasse der Akademie geschlossen ins Kino. Also, wir hatten eine Besprechung, dann wurde ein Film entschieden und dann sind wir alle zusammen ins Kino gegangen und haben einen Film geguckt. Die Studenten hatten dann 48 Stunden Zeit, um den Film zu interpretieren und Schmuck daraus zu machen. Und ich fand das ganz klasse. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, was da raus kommt oder so und fand das ganz toll. Das war unglaublich spannend, was für Positionen, was für Vorschläge, was für Interpretationen und wer was von dem Film wie sozusagen übersetzt hat in Material und etwas Tragbares. Und was mich eben am meisten umgehauen hat war eine Brosche. Das war so ein Stück Plastik, sehr bunt, sehr fröhlich auf eine Art, aber es war auch so eine Art länglicher Käfig und Innen drin bewegte sich so ein Splinter. Wie so ein Splitter. Und ich kam nicht von der los. Und dann fragte ich: Wer ist das denn? Die meinten dann: Ja, diese australische Gaststudentin hat das gemacht, Helen Britton und es ist aus dem Stiel einer Zahnbürste, das hatte sie alles so raus gesägt. Das war großartig! Und das hat mich so berührt! Der Film hieß Marius et Jeannette. Marius et Jeannette war eine Liebesgeschichte in Marseille, im Prekariat. Am Hafen spielte es in kleinen Wohnungen in einem Zementwerk, was geschlossen werden sollte. Es war einerseits so die Natur, das Meer, der Strand. Und gleichzeitig so das Industrielle wie auch Menschen, die sich irgendwie mit Arbeitslosigkeit und Alleinerziehend und Alkoholismus zurecht finden müssen. Und mit mir hat das deshalb so connected, vielleicht weil ich auch am Meer in Südspanien aufgewachsen bin. Auch zwischen so vielen verschiedenen Welten. Und dann war mir schlagartig klar: eine Zahnbürste ist das Erste was einzieht, wenn man eine neue Beziehung hat. Also wenn bei dir im Bad eine neue Zahnbürste ist, dann heißt es, dieser One Night Stand oder whatever, oder Flirt oder Bekanntschaft, ist etwas mehr geworden. Und es gibt ein etwas stabileres Liebesverhältnis als eine flüchtige Geschichte. Das heißt eine Zahnbürste symbolisiert eine Liebesgeschichte und eine Beziehung aus der mehr oder weniger werden kann. Und das ist oft das letzte, was dein Haus verlässt, dein Bad verlässt, wenn die Sache aus ist. Oft steht die da noch ganz lange. Oder ganz schnell. Man wirft sie raus und sagt: Hier schleich dich, hier ist deine Zahnbürste! Und wirft sie irgendwie dem Treppenhaus hinterher im Streit oder so. Aber das ist ganz klar: Entstehung von einer Beziehung und auch Ende von einer Beziehung. Und dieser Kosmos, das Meer, die Hafenstadt, durch die Relinge, durch den Ponton; weil das so länglich war und so Gitter hatte, das auf und ab der Liebe wegen diesem Splinter der da so hin und her ging. Dann, dass es eine Zahnbürste war – Das alles hat mich so irrsinnig inspiriert. Und hat mir so viel erzählt, … (bellen) Entschuldigung, ich muss kurz das Tier reinlassen. Also diese Brosche hat mich so inspiriert und hat mir eine so reiche Welt geschenkt, dass ich wirklich dachte: Wie ist das möglich? Also, dass mich ein Stück Schmuck so berührt? Und das habe ich mir gemerkt. Ich habe sie dann auch kennengelernt. Die saß da und hatte so einen ganz wilden Blick. Und mir hat das total gefallen. Weil ich dachte: Wow, was für eine tolle Frau. Irgendwie interessant, irgendwie super – aus einem Zahnbürstenstiel – wo man denkt Schmuck ist irgendwas mit Metall oder Steinen oder irgendetwas kostbares sollte vielleicht dabei sein oder so. Und das fand ich einfach super. Ich kannte mich schon so ein bisschen aus mit Avantgardeschmuck und was da an der Akademie gemacht wurde. Aber das hat mich so geflasht. Und dann ist der Kontakt nie ganz abgerissen. Alle paar Jahre hörte ich irgendwie von ihr und was sie macht. Und als sie dann Erfurter Stadtgoldschmiedin wurde, hat sie so ein ganz tolles Plakat gemacht. Der Titel war: Tier aus der Ferne. Und da gab es einen ganz tollen Text von ihr, wie sie nach Thüringen im Zug fährt und die Züge werden immer kleiner, die Hänge werden immer steiler und die Wälder werden immer dunkler. Wie sie sich so mit ihrer australischen Kultur oder dem australischen Wesen diesen kleinen deutschen Thüringer Walddörfern mit ihrer uralten Geschichte und Handwerkskunst nähert. Und das hat mich immer wahnsinnig inspiriert und die Sachen, die sie gemacht hat auch. Allein dieser blaue Vogel in diesem Nest. Dann auch die Referenz zu Maeterlincks: Der blaue Vogel und so weiter. Ich fand das großartig, das hat so wahnsinnig in mir geklungen. Und ich dachte, so ähnlich denke ich oder assoziiere ich auch. Also es war immer so jemand, der ich mich sehr nahe gefühlt habe. Und von dem Moment an, also seit Tier aus der Ferne dachte ich, ich würde wahnsinnig gerne einen Film machen und sie begleiten. Und über ihre Arbeit diese Geschichten erzählen können. Und das hat dann aber noch ein bisschen gedauert. Also die Ausstellung war 2008, dass sie da Stadtgoldschmiedin war und 2016 habe ich dann ernsthaft angefangen zu drehen.

00:04:11

A.S.Ruth Schneider: Was war Dir denn wichtig in dem Dokumentarfilm zu vermitteln und was hast Du vielleicht auch mitgenommen?

00:10:00

Elena Alvarez Lutz: Also wichtig war mir, dass es sehr frei ist, dass es poetisch ist, dass es kein klassisches Porträt ist. Sondern, dass es über Helen Britton hinaus einen Raum öffnet. Einen Raum, wo sich jeder selber wiederfinden kann. Weil das sind letztlich die Filme, die mir gefallen. Also mir gefallen Filme, in denen ich merke, hier kann ich so rum schweben und rum dingsen. Und sie bereichern mich und ernähren mich. Vielleicht habe ich irgendwas nicht richtig verstanden, aber das ist mir dann völlig egal. Also ich mag … Was mich so sehr geprägt hat waren die Filme von Agnès Varda, von Chantal Akerman, von Catherine Breillat und von Chris Marker. Und Chris Markers Sans Solèil, das war auch so ein Initiationsding für mich . Als ich Sans Solèil sah, war ich so: Oh! Toll! Und eigentlich ist es so ein Narrativ von, irgendwoher kriegt er Bilder und montiert die. Wie Found Footage. Das heißt, du sammelst und irgendwann verdichtest du und suchst eine Form. Ich wusste, ich möchte einen Film über sie machen und hatte keine Ahnung wie das so genau gehen sollte oder wie ich das bewerkstelligen soll, wie ich das finanzieren soll und wo ich das unterbringen soll. Keine Ahnung. Und irgendwann war ich mal bei ihr im Atelier und da arbeitete sie gerade an der Serie wildstone und hatte so zwei goldene Baumstümpfe. Einer mit einem Ast und noch ein Baumstumpf. Und da waren alte geschliffene Steine aus Idar Oberstein. Der eine war ein Eichhörnchen, der andere ein Specht. Und das war so herzzerreißend, so … entzückend ist so ein blödes Wort – so berührend! Und dann sagte sie mir: Ja diese Steine sind von 1890. Und sie hat denen so ein Haus aus Gold gemacht, damit diese Tiere darin leben können. Das war so toll! Und ich habe mein Handy raus gezogen und gesagt: Helen, dass muss ich filmen! Und das war eigentlich der Anfang von dem Film, wie Helen diese beiden Objekte gemacht hat. Und dann sagte sie mir: Das wird die wildstone Kollektion und ich habe jetzt eine große Retrospektive in Perth und fahre nach Australien mit all meinem Zeug, mit der Geisterbahn und allem. Das sind 25 Jahre meines Lebens als Künstlerin und so.“ Und sie hat ein Stipendium gekriegt für 2018 oder 2019, einen Monat in Newcastle. Und geht das erste mal zurück nach Newcastle wo sie herkommt. Und da war mir klar, ok jetzt muss ich drehen, weil mir sonst diese ganzen tollen Sachen verloren gehen. Jetzt ist der Moment. Und dann habe ich angefangen. Tatsächlich zuerst mit dem Handy immer wieder. Dann habe ich gedacht gut. Also ich habe ganz klassisch gedacht, ich brauche einen Produzenten, ich brauche einen Sender, ich brauche einen Kameramenschen oder Frau, ich brauche eine Tonperson, ich muss das jetzt alles machen. Und dann habe ich ein Treatment geschrieben, das kam auch wahnsinnig gut an. Aber die Sender und alle haben so gesagt: „Hmm, ja, das ist sehr hübsch und sehr schön. Aber Schmuck ist so gar nicht mein Ding.“ Oder „Schmuck? Wo ist denn da der Krisenpunkt? Wo steuert es hin? Wo ist denn da die Challenge, was sie erreichen will oder muss oder wo es auf der Kippe steht? Oder will sie irgendwas gewinnen und dann begleiten wir sie wie sie das schafft oder scheitert. Ist sie krank und muss gegen eine tödliche Krankheit kämpfen?“ Und ich habe gesagt: Ey Leute. Nein. Das ist so überhaupt nicht das, was ich vorhabe. Und dann: „Ja ne, wir suchen eigentlich lieber politische Sachen“. Und dann habe ich gesagt, auf einer ganz feinen Ebene ist dieser Film auch sehr politisch. Du kannst den absolut politisch lesen. Der Strukturwandel, das Verschwinden von Handwerk, alte Traditionen, Wertigkeit von Material, Kunst als solches. Das ist alles politisch. Aber gut, es ist nicht politisch im Sinne von so bäng bäng bäng. Also was da halt gerade an so einfach zu verkaufenden Themen gewünscht wird.

00:10:10

A.S. Ruth Schneider: Ja, das was als große Story gewöhnt ist.

00:14:27

Elena Alvarez Lutz: Ja genau, ne Story und so. Wie gesagt, alle mochten es aber niemand ist eingestiegen. Und dann habe ich gesagt, nunja gut, dann muss ich es eben so machen. Dann habe ich alle meine Freunde, von denen ich wusste, das sind tolle Kameraleute und sie haben eigenes Equipment gefragt: Könnt ihr ein paar Tage für mich drehen? Und das war ganz toll. Weil die erste die ja klar sagte, war Lilli Pongratz. Die fing gerade an an der Filmhochschule zu studieren. Das ist die Tochter von Matthias Mönnich, dem Werkstattleiter der Akademie. Und sie sagte: Ja sie habe Zeit und sie hätte auch Lust drauf und sie hätte aber eigentlich von dieser ganzen Goldschmiedeschmucksache gar keine Ahnung. Und ich dachte: Ah, what? Echt? Du bist doch darin aufgewachsen! Und sie meinte, sie hat es eigentlich nie interessiert, was ihr Vater da so macht. Und die hat dann gedreht ein paar Tage lang. Teilweise auch ohne mich. Ich habe einfach gesagt, Lilli, dreh, was dich interessiert – mach. Ich kann gerade nicht, weil ich woanders bin oder arbeite. Und das war ganz toll, dieses Sammeln von Material zu sehen, durch ihre Augen. Und manchmal war ich auch dabei. Klar. Meistens war ich schon dabei, aber sie hat auch ganz alleine gedreht. Und das war auch gut, weil es schwierig mit mehreren ist. Wenn ein Künstler oder eine Künstlerin arbeitet, dann haben die kein Bock – das verstehe ich total - dass da drei Leute rumstehen und irgendwie rascheln und sich bewegen. Oder überhaupt auch nur atmen. (lacht). Also eigentlich möchtest du alleine sein und dein Ding machen. Und wenn da Leute einfach so krrr machen …. Deswegen ist es so schön, dass ich so eine Form gefunden hab. Oft war nur eine Person alleine dort. Dann war noch ein anderer Freund von mir, Stephan Breinbauer, der hat teilweise gedreht und auch Sachen gefragt, die ich nicht mehr gefragt hätte, weil ich Helen schon zu lange kenne. Das war sozusagen auch eine Bereicherung, der Blick oder die Neugierde von jemand anderem, der sich auch holt, was er braucht um es zu verstehen. Und das fand ich ganz toll. Manche Sachen davon sind auch drin in dem Film, da war ich unendlich dankbar, dass er ihr Fragen gestellt hat, was ich eher nicht gemacht hätte. Wir haben eher manchmal so geredet. Und dann kam der Moment der Wahrheit. Der ging dann so: Jetzt geht es nach Australien. Dann dachte ich, ja gut, ich kann gerade noch so finanzieren, dass ich einen Monat mitgehe. Aber ich kann keine zweite Person, kein zweites Hotelzimmer oder so etwas bezahlen. Das geht nicht. Dann sagte ich: Ok, jetzt muss ich dran. Und dachte, gut, jetzt muss ich eine Kamera kaufen, mein Freund hat mich da sehr unterstützt und meinte: Du hast doch Film studiert, das lernst du jetzt halt das Menü und so weiter. Und ich so: Nein ich will nicht! Und er: Ja mach! So kaufte ich eine Kamera mit sehr schönen Objektiven. Das war mir sehr wichtig, dass das nicht aussieht wie Plastik und alles scharf ist, sondern ich habe sehr schöne Festobjektive, die eine sehr geringe Tiefenschärfe haben. Ich hoffe das ist jetzt nicht zu technisch, aber es ist wichtig, weil es um Schärfe und Unschärfe geht. Es geht um ein poetisches Bild und nicht einfach um Abbildung von Inhalt. Dann sagte ich: Ja gut, dann lass ich mir das erklären mit Menü. Und bei Menü weiß ich noch, dass mich das sehr deprimiert hat. Ich hatte noch klassisch Film gelernt, mit Zelluloid zu drehen und so, wusste schon was ne Gammakurve ist und wie die Graukarten und die Belichtungsspielräume und so weiter ... Das wusste ich schon noch. Aber ich habe die Kamera aufgeklappt. Dann kam da so ein Menü mit irgendwie 500.000 Untermenüs und die Untermenüs hatten wieder Untermenüs und wollten lauter Sachen von mir wissen, die ich nicht beantworten konnte. Und ich saß wirklich da, auf dem Sofa, mit dem Handbuch und der Kamera. Irgendwann hatte ich sie auf dem Schoß und fing an sie so zu streicheln wie eine Katze. Ich dachte wirklich: Oh Gott, das wird nichts, never ever. Und dann habe ich all diese Kamerafreunde angerufen und gesagt: Könnt ihr mir ne WH5 erklären und könnt ihr mir helfen, das Menü zu setten und könnt ihr mich da irgendwie ein bisschen coachen. Und dann sagte die Lilli Pongratz: Ja komm, ich erkläre die das, wir machen da mal so ein paar Settings. Und ich: Ok, diese Settings und die rühre ich jetzt auch nicht mehr an. Und ich muss sagen, dann hat es tierisch Spaß gemacht selber Kamera zu machen. Ich glaube, ich habe alle Fehler gemacht, die man machen kann. Weißabgleich, … Aber, mit der Zeit wurde es immer besser. Und mit der Zeit habe ich tierischen Spaß dran gehabt und habe mich sehr, sehr wohl gefühlt, genau das zu filmen, wie ich es filmen will – immer im Rahmen meiner Möglichkeiten. Wenn du eine einzelne Person bist, jetzt keine Assistenten hast, die dir schnell mal so ein Objektiv reichen oder irgendwas halten … Also wenn wir sagen, wenn man schon alleine dreht, dann … innerhalb dieser Struktur oder dieses Szenarios war es fantastisch. Ich habe es sehr gemocht und es hat mir wirklich wiedergegeben, so eine Geschichte erzählen mit Bildern. Und beim Drehen bin ich wirklich völlig verschwunden. Man wird dann so ein saugendes Auge. Man krabbelt so rein in die Kamera und wird zu dieser Kamera, die sich bewegt, die saugt und die rum mäandert und Sachen sucht. Ich mochte das sehr gerne.

00:14:30

Cathleen Kämpfe: Fehlte Dir da manchmal noch ein zweites Auge?

00:19:41

Elena Alvarez Lutz: Ne.

00:19:45

Cathleen Kämpfe: Spannend.

00:19:46

Elena Alvarez Lutz: Also das zweite Auge, das fehlt, aber das kommt. Und das zweite Auge ist die Montage. Das ist editing. Und da brauche ich dringend ein zweites Auge. Ich hatte das große Glück, dass die Nina Ergang den Film geschnitten hat. Das ist eine fantastische Editorin. Und die musste sich dann rum schlagen mit ganz viel unbrauchbaren Zeug, also ganz viel Ausschuss – weg weg weg. Die hat das dann säuberlich, in einer unendlichen Geduld und liebevollst raus geschält, was drin war. Das ist dann das zweite Auge. Ich schneide nicht gerne selber. Ich finde auch, dass das wirklich eine andere Sprache ist. Saugen, Finden und Holen ist eine Sprache. Und Reduzieren, Verdichten und sich Verabschieden von Sachen ist eine andere Sprache. Und da bin ich irrsinnig froh über die Zusammenarbeit. Das war wirklich eines der Hauptdinger. Das eine war das Drehen und das andere war die Montage.

00:19:47

Cathleen Kämpfe: Beeindruckend, dass es so ein innerer Antrieb für Dich war und so viele Dinge ausgelöst hat offenbar, die Begleitung von Helen Britton. Also zu sagen, ich mache das jetzt komplett alleine, ich setze mich jetzt mit meiner Rolle als Kamerafrau gleichzeitig auseinander. Kannst Du zusammenfassen, es war ja auch eine längere Zeit und offenbar mehrere Phasen in der Produktion, wie die Begleitung insgesamt für Dich war?

00:20:48

Elena Alvarez Lutz: Hmm, sehr schön, weil es immer große Pausen gab. Wo es sich plötzlich so anfühlte wie: Ich mache gerade gar keinen Film. Und dann rief entweder sie an oder ich sie und so: Ey, wie geht es? Was machst du und so? Und immer wenn sie erzählte: Ah ich habe jetzt eine Ausstellung da und da oder ich werde jetzt da und da oder ich fahre jetzt nach Idar-Oberstein oder wann passt es denn, wenn wir nach Lauscha fahren und so. Wir haben uns dann einfach immer sehr schnell gefunden. Meine Rolle war, ich wollte gerne im Atelier rumhängen. Und das war ganz toll, weil David Bielander und Yukata Manegeshi, die haben alle gesagt: Ja passt, du darfst da rumhängen. Und es war sehr, sehr lustig. Es war wirklich eine tolle Zeit. Und ich vermisse es. Ich vermisse es dort im Atelier rumzuhängen. Und ich war da so … Am liebsten bin ich da so verschwunden. Ich war da so Fliege an der Wand und wir haben auch nicht viel geredet. Es war so: Ich bin das saugende Auge, sie macht ihr Zeug und ich sauge da rum. (lacht) Und dann war es fertig und dann bin ich gegangen. Es war gar nicht so … Es braucht ja auch Energie da so rumzureden. Sie hat gemacht und ich habe … Also beide haben gerne unsere Arbeit gemacht. Ich meine und sie ihre.

00:21:09

A.S. Ruth Schneider: Wie begreifst Du denn allgemein Deine Rolle als Regisseurin und hast Du im Vorfeld schon so etwas im Kopf wie: Ah, solche Momente sind mir wichtig! Oder kommt das dann beim Saugen?

00:22:34

Elena Alvarez Lutz: Klar, wenn Helen zum Beispiel sagt, sie fährt nach Idar-Oberstein und besucht ihren Steinschleifer weil sie Achate aus Australien auf eine ganz bestimmte Art und Weise geschliffen haben will, weil sie damit das und das machen will. Oder diese schwarzen Blätter, die sie hat machen lassen für diesen Trauerschmuck. Und dann brannte es ja auch in Australien. Also wenn sie mir sagt, ich fahre da jetzt irgendwann demnächst hin und mache das, dann habe ich immer geschrieben: Oh bitte, ich will mit. Können wir deinen Steinschleifer fragen, ob ich da drehen darf? Ist es ihm recht? Ist es ok? Und ja, will ich drehen! Dass das dann nicht im Film drin ist, das ist eine andere Sache. Sachen fliegen dann halt raus, weil sie ihren Platz nicht finden. Weil etwas anderes diesen Platz schon anders oder besser … Oder weil es schon da ist. Und das dann auch noch zu bringen, wäre dann redundant. Das tut mir dann sehr Leid, weil diese Szenen alle sehr, sehr schön sind. Also es ist wahnsinnig viel nicht im Film. Aber so ist es, du musst dich dann von ganz vielen Sachen auch verabschieden. Der Film entwickelt ein eigenes Bedürfnis, was er dann will und braucht. Und dem musst du dann auch folgen. Der Film sagt dann auch ein bisschen an, was seine Bedürfnisse sind. Wo braucht man Pausen? Wo ist die Natur gut? Wo muss jemand etwas Intelligentes, Kluges sagen oder so etwas? Wie treibt es das weiter? Das ist so glaube ich wie mit Metall. Du musst ihn vor dir hertreiben, aber du musst es auch auf ihn hören. Und das ist der Prozess in der Montage. Und das ist: Wann ist Voice Over sinnvoll? Wann muss eine Musik her? Wie sollte diese Musik sein und so? Das ist ein wahnsinnig toller Prozess. Und ich glaube das ist ähnlich, wie bei Helen, wenn sie ihre Schmuckstücke macht. Die sammelt ja auch und dann entstehen Dinge. Und ich habe auch jahrelang gesammelt und dann entstand der Film.

00:22:49

Cathleen Kämpfe: Wow. Apropos jahrelang. Das Projekt ging ja vier Jahre. Wie kam es zu dieser Zeitspanne? Warum sind es nicht sieben, warum sind es nicht anderthalb? Du meintest im Vorgespräch, dass es irgendwie auch 15 waren.

00:24:41

Elena Alvarez Lutz: Also ideell waren es 15. Weil ich ja schon am liebsten 2007, 2008 angefangen hätte zu drehen. Auch in Lauscha, als sie da noch war und als Herr Greiner, hieß er glaube ich, noch lebte. Der Glasbläser, der diese blauen Vögel gemacht hat. Und Helen erzählte mir auch, dass sie das jetzt auch gerade lernt dieses Glasblasen. Und diese Auseinandersetzung mit Technik und Material, das fand ich schon ganz toll. Das hätte ich wahnsinnig gerne gedreht. Aber das war noch zu früh, da waren die Handys noch nicht so gut. Da hatte ich auch noch ein schulpflichtiges Kind. Also meine familiäre Situation hat es mir erlaubt so ab 2016 loszulegen. Und die technische Situation auch. Vier Jahre waren es halt, weil sie 2016 an wildstone gearbeitet hat. Da dachte ich eben, das muss ich haben. Und dann ging es einfach nahtlos weiter. Die Retrospektive, dann kam das Stipendium in Australien und dann kamen die Sachen, die sie hier gemacht hat. Hier gab es auch noch eine Ausstellung. Dann waren wir auch nochmal in Lauscha zusammen. Und dann hat sie angefangen mit diesen Beton Objekten, die großartig sind. Und das ist so toll! Also diese Betonobjekte, diese ganze Auseinandersetzung mit der Geschichte vom Osten. Und ist was für sie, als Person, die nicht von hier ist, was ist für sie der Osten Deutschlands? Dann hat sie gesagt: Glas, Beton und gerostetes Eisen. Und die Themen mit Architektur, mit Brutalismus. Was war denn die Idee von Brutalismus? Das war ja eigentlich eine gerechtere Gesellschaft. Und es gibt ein billiges Material und damit können mehr Leute besser leben. Und dieses Scheitern auch dieses Experiments, was vielleicht nicht überall gescheitert ist. Man kann nicht sagen, dass es ganz gescheitert ist. Aber man kann sagen, naja nur Theorie … Die Theorie muss tatsächlich mit dem Leben und mit dem Weiterwachsen von diesen Modellen … Die Modelle dürfen nicht rigide sein, die Modelle müssen fließen können und sich verwandeln können. Die Modelle brauchen eine Verwandlungsfähigkeit. Und ich habe versucht, dass man das alles im Film auch nur erahnt. Es sind alles nur so kleine Stipser, wo man sagt: Hier geht eine Tür auf und da geht eine Tür auf. Und am Ende findet da jeder was für sich selbst, womit er irgendwie in Beziehung treten kann. Und am schönsten war so, wenn ich gehört habe von Leuten, die den Film gesehen haben, dass sie gesagt haben: Ich war am Ende ganz bei mir. Ich habe mich erinnert an mich, wie ich am Strand Sachen gesammelt habe und ich war am Ende in meiner Kindheit. Und das fand ich so das schönste Kompliment.

00:24:51

A.S.Ruth Schneider: Vielen Dank für das Gespräch und Deine Zeit! Elena Alvarez Lutz: Sehr gerne.

00:27:36