Glanz & Kante

zum erweiterten Schmuckverständnis

Die Gestaltungsprinzipien der Schmuckkünstlerin Sunhi Jäger bewegen sich im Spannungsfeld östlicher wie westlicher Kultur und vernetzen Bedeutungszusammenhänge beider Kulturen miteinander. Sunhi Jäger lässt uns an ihren Gedanken über ein erweitertes Schmuckverständnis teilhaben und wie es sich in ihren Denk- wie Arbeitsprozessen sowie der praktischen Ausführung zeigt. Wir sprechen zudem über das Erzählen von Materialität und seiner Zeitlichkeit, ebenso über die Personen und Orte, die Sunhi Jägers Arbeit wie auch das Sprechen über diese prägten.

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Sunhi Jäger auf Instagram: @sunhijaeger

Foto: Liudmila Springer

THANKS

Music: Mine Pleasure Bouvar Wenzel | @minepleasurebouvar

This podcast is supported by the @hawkgmetallgestaltung of the HAWK, the University of Applied Sciences and Arts Hildesheim, Holzminden, Göttingen, by the AStA of HAWK and by the Studentenwerk Ostniedersachsen. Many thanks for this.

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Transkription

Anne Sophie Ruth Schneider (A.S.R.S.): Cathleen und ich sprechen heute, es ist Anfang Oktober, mit der Schmuckkünstlerin Sunhi Jäger. Seit vielen Jahren bewegt sich Sunhi im Bereich des Schmucks, wobei sie künstlerisch wie theoretisch forscht und beide Felder in ihren Arbeiten und in ihrer Position verbindet. Dabei fußen Sunhis Gestaltungsprinzipien im Spannungsfeld östlicher und westlicher Kulturen und vernetzen Bedeutungszusammenhänge dieser beiden miteinander. Mit Sunhi Jäger sprechen wir über ihr erweitertes Schmuckverständnis, wie es sich in ihren Denk- wie Arbeitsprozessen und der praktischen Ausführung zeigt. Wir sprechen über das Erzählen von Materialität und seiner Zeitlichkeit und welche Personen und Orte Sunhis Arbeiten wie auch das Sprechen über diese prägten.

00:00:40

A.S.R.S.: Wir haben eine kleine Einstiegsfrage an all unsere Gäst*innen. Was hast Du dir aus dem Bereich Schmuck zuletzt gekauft?

00:01:33

Sunhi Jaeger (S.J.): Ja hallo, ich grüße euch! Das letzte Schmuckstück habe ich mit einem Kommilitonen von der Burg getauscht. Das sind Fensteremaille Ohrringe getauscht. Und ich mochte sie und fand sie sehr schön, weil sie mich an das Thema erinnert haben eines Fensters. Und ich finde es ist ein interessanter Aspekt, dass so ein Fenster zwischen dem Inneren und dem Äußeren steht. Dass es aber auch als einen zeitlichen Rahmen gesehen werden kann.

00:01:41

A.S.R.S.: Wie bist Du eigentlich zu dem Schmuck gekommen?

00:02:02

S.J.: Abgesehen davon, dass ich schon immer irgendwie Schmuck selbst gemacht habe in meiner Jugendzeit, habe ich den ersten Kontakt in der Metallbearbeitung bei meiner Kunstlehrerin in der 8. und 9. Klasse gehabt, weil ich ich bei ihr die Metall AG belegt hatte. Und sie war Absolventin der HBK und hat im Schmuckfachbereich in Berlin studiert, zu ihrer Zeit. Bei ihr habe ich dann Löten, Richten und einfache Biegearbeiten gelernt und habe das Material dann nach meinen Vorstellungen geformt. Aber es war nie so, dass ich dann Schmuck machen wollte. Erst nach dem Abitur, als ich beschlossen hatte Gestaltung zu studieren. Und dafür habe ich dann einen studienrelevanten Arbeitsaufenthalt in Südkorea gemacht im Studio des Kulturguthalters Prof. Chang, Ju-Won für Jade Schnitzerei. Und das war eine sehr schöne und intensive Zeit. Ich war kurz noch Gaststudentin an der Kyonggi University bei Seoul im Zuge dessen. Als ich zurück kam, habe ich anschließend in der Berliner Werkstatt die Goldschmiedekenntnisse gelernt.

00:02:06

Cathleen Kämpfe (C.K.): Das heißt Du hast drei Praktika gemacht bevor Du in Idar-Oberstein angefangen hast?

00:03:06

S.J.: Ja genau, also zwei längere und insgesamt alles zusammen etwas über ein Jahr. Die Gasthörerschaft war eher zwei Wochen vor Abflug. Und in dem konnte ich dann den Ablauf einer Uni schon mal kennenlernen.

00:03:11

C.K.: Ah Wahnsinn. Weil es finden sich ja noch so weitere Schritte. Du hat ja zuerst in Idar-Oberstein studiert, bist dann nach Halle zum Diplom gegangen und hast anschließend Dein Meisterschülerinstudium angefangen und beendet. Was hast Du denn alles aus dieser Zeit mitgenommen, was prägte Dich und welche Umwege gab es eventuell auch?

00:03:23

S.J.: Ah ja, in dieser Zeit habe ich einfach eine Menge Fragen mitgenommen. Und ich bin sehr dankbar, dass ich eine Fülle an Möglichkeiten erfahren konnte. Ich habe beide Standorte in Zeiten von Veränderung oder Wechseln erlebt. Daher habe ich bei ziemlich vielen verschiedenen Lehrenden studieren können. Ich habe dadurch auch verschiedene Materialwerkstätten kennen gelernt. Und auf dem Weg habe ich verstanden, dass einfach alles im Prozess sich befindet. Und dass jede Arbeit die man macht, oder jedes Modell, Teil eines Entwicklungsprozesses einer Form oder einer Thematik ist, die man bearbeitet und die sich immer wieder weiter wandelt. Das hatte mir Ute Eitzenhöfer dann mit auf den Weg gegeben. Und ich habe es erst später vollständig begriffen, als sich meine Arbeitsprozesse mehr verdichtet hatten und ich dann viel gezielter in diesen Entwicklungsprozess eingreifen konnte. Erst dann habe ich die Thematik zu der ich arbeite zu einer Aussage formen können. Eine andere wichtige Methode die ich gelernt hatte, ist die Arbeit in verschiedene Proportionsverhältnisse zu setzen oder zu übersetzen. Das heißt bei Schmuck dann einfach mal alles viel größer zu machen. Und dieses veränderte Verständnis oder diese veränderte Erfahrung zwischen Körper und dem Objekt zeigt ziemlich schnell wo die Stärken liegen oder auch die Schwachpunkte liegen. Es ergibt auch immer wieder einen neuen Aspekt auf die Arbeit. Und einige meiner Arbeiten sind freie Arbeiten, die zum Teil lebensgroße Konzepte im dreidimensionalen Raum sind. Diese Arbeitsweise ist auf Lothar Brügel zurück zu führen, der mir damals in Idar-Oberstein die Arbeit im plastischen Bereich näher gebracht hat. Und ich beginne eigentlich auch immer die Arbeit im Schmuck als ein Objekt oder ein Konzept. Und ob es sich dann an den Körper fügt, ist am Anfang völlig offen. Die Fragen, die ich dann von Theo Smeets und später dann von Daniel Kruger und Nanna Melland gestellt bekommen habe, was Schmuck ist oder was tragbar sein bedeutet, haben mich dazu gebracht Schmuck aus meiner eigenen Perspektive zu erarbeiten, die Grenzen abzutasten und Schmuck auch ganz klar im gesellschaftskritischen Kontext zu sehen. Im Diplom an der Burg, dann bei Melanie Isverding und Hans Stofer, habe ich gelernt wie ich Schmuck mache und wie ich alle Aspekte meiner Untersuchungen zusammenfließen lasse, egal in welchem Material oder Medium das dann ist. Und wie ich dem Material und der Bedeutung dann zu einer Aussage forme.

00:03:42

A.S.R.S.: Ich finde das total inspirierend und auch greifbar zu hören, wie sich all die Wege, Gedanken, Fragen aber auch die Personen, die Dich da begleiten durften sich dann zu Einem zusammen sammeln und sich da ja auch verdeutlichen in deinem Prozess und Wegen, die Du da gegangen bist.

00:05:59

C.K.: Ja vieles lässt sich auch im Nachhinein leichter erkennen und zusammenfassen, oder?

00:06:22

S.J.: Ja, in jedem Fall! Wenn man selbst in der Zeit ist, dann steht man sehr dicht davor und sieht nicht. Und erst im gewissen Zeitabstand ergibt sich die Distanz, die auch einen vertiefenden Blick geben kann, über die Entwicklung die man selbst gemacht hat. Ich habe auch gelernt die Feinheiten meiner Zusammenhänge meiner Arbeit besser zu erkennen. Und ich bin Hans Stofer dankbar, dass er mir dann die Zeit gegeben hat auch in den anschließenden Studien, Antworten auf viele meiner Fragen zu finden. Und die äußern sich im angewandten Bereich wie auch im plastischen, freien Bereich.

00:06:26

C.K.: Was prägt Dich denn beim Arbeiten?

00:06:59

S.J.: Ja zunächst natürlich mein Verständnis von Kultur und der Unterschied oder die Gemeinsamkeiten der ostasiatischen und westlichen Kultur. Und meine Prägung prägt meine Arbeit. Ich bin als Tochter einer Südkoreanerin und eines Deutschen im Berlin der 80er Jahre geboren. Von daher haben sich so meine theoretischen Arbeiten in Idar-Oberstein zunächst mit dem Aspekt des Analogen und des Digitalen beschäftigt. Aber auch die Gedanken des Bauhauses haben einen großen Einfluss auf meine Arbeit genommen. Und ich wollte allerdings noch weiter forschen nach dem Diplom in Idar-Oberstein. Was Kandinsky mit dem Geistigen in der Kunst meint und was andere darüber nachgedacht haben. Oder wie ich lerne sichtbar zu machen, was ich denke. Nach Paul Klees Satz: Kunst gebe nicht das Sichtbare wieder sondern es mache sichtbar. Und ich fragte mich, wenn ich etwas sichtbar mache, was ist dann für andere sichtbar? Und wie kann ich das, was sichtbar wird, viel besser steuern? Nachdem ich die Seminare und Vorlesungen über Ästhetik und Kunstgeschichte an der Burg besucht hatte, habe ich mein eigenes Forschungsfeld nochmal vertieft. Und zwar auf die philosophischen Entwicklungen nach der Zäsur in Europa und auf die ostasiatischen Ästhetik. Und so habe ich dann meine Arbeiten in Einklang mit meiner Person bringen können. Ich habe die Themen über die Grenzen zwischen dem Materiellen und dem Immateriellen bearbeitet. Und dadurch, dass sich das Denken über Materialität in diesen beiden Kulturkreisen ja immens unterscheidet, hat sich für mich ein großes Spannungsfeld in dem ich arbeiten konnte geöffnet. Und so konnte ich auch neue Bedeutungsebenen in meine Arbeit mit einbeziehen.

00:07:00

A.S.R.S.: Und Du hast gerade schon ein bisschen angedockt, in welche Richtung Schmuck für Dich gehen kann oder auch in welche Dimension. Vielleicht können wir noch ein bisschen mehr über Deinen Schmuck oder über Deine Gedanken über oder zum Schmuck sprechen. Was bedeutet für Dich die Körperbezogenheit von Schmuck? Wie ist diese präsent oder vielleicht auch mal nicht präsent?

00:08:35

S.J.: Ja. Die Körperbezogenheit ist in meinen Arbeiten auf zwei Arten präsent. Die Eine hat zur Anderen geführt. Zunächst einmal, immer wenn ich ein Schmuckstück betrachte, denke ich es als Objekt. Von daher sehe ich die Abwesenheit des Körperlichen als ein starkes Thema im Schmuck. Das Abwesende wird im Chinesischen mit den Worten Nicht Sein übersetzt. Und um diese Thematik des Unkörperlichen im Schmuck zu übertragen, ist für mich sehr spannend. Von daher habe ich Arbeiten gemacht, in denen Schmuck abgebildet wird. Zum Beispiel habe ich ein Schmuckstück aus Metall in meiner Diplomarbeit als Werkzeug gebraucht, um Wasserzeichen in Papier herzustellen. Und dieses Schmuckstück, dass den Titel Konstellation trägt, kann in verschiedene Variationen gelegt werden, weil es aus beweglichen Elementen besteht. Und das Konzept der Arbeit Labyrinth, die daraus folgte, liegt darin aus diesen einzelnen Variationen des Werkzeuges als Wasserzeichen abzubilden. Und die Variation mit ihren Dopplungen und Spiegelungen hat eine ganze Fülle von handgeschöpften Bögen entstehen lassen, aus denen ich dann 16 Möglichkeiten ausgewählt habe, die sich aus acht verschiedenen Variationen ergaben. Und ich begreife Schmuck als Träger einer Botschaft. Das hat mich dazu geführt, die Handlung die von einem Schmuckstück ausgeht losgelöst von einem Schmuck bezogenen Kontext zu sehen und in eine andere Beziehung zum Körper zu stellen, wie zum Beispiel als ein Blatt Papier. Und das untersucht den Schmuck-relevanten Kontext in einem untypischen Feld der Anwendung. Aber es erweitert meinen Denkbereich im Schmuck um Briefe, Fächer, Gedichtrollen oder dem Glockenspiel. Ich erweitere die Körperbezogenheit damit auf viele erdenkliche Handlungsoptionen wie des Spielens, Fächelns oder des Schreibens, die für mich auch Schmuck immanente Handlungen sind. Es sind sozusagen beides Reflexionen darüber Schmuck als innerliches Tragen zu begreifen und zu thematisieren.

00:09:01

C.K.: Welche Rolle, weil Du eben auch von dem Glockenspiel und dem Fächer gesprochen hast, nehmen Gebrauch und Verbrauch in Deiner künstlerischen Position ein, ebenso in Deinem Umgang mit Materialität?

00:10:51

S.J.: Ich gehe da von der kulturellen Entwicklung aus, in der wir uns befinden. Und die sich in so einem rasanten Freien Fall des Konsumierens und Verbrauchens entwickelt hat. Und die Frage, die sich nach dem Gebrauch der Dinge stellt hat sich auch geändert. Und zwar werden die Objekte nicht mehr als Artefakte betrachtet. Sondern mehr als ephemere, als schnell verbrauchende Gegenstände. Das hat dazu geführt, dass sich das Leben in gewisser Weise destabilisiert. Denn die gleich bleibenden Dinge sind Gegenstände, die identitätsstiftend und stabilisierend wirken. Und Schmuck ist definitiv eines dieser Gegenstände, die in ihrer Lebenszeit verkürzt worden sind. Und diese Frage interessiert mich, welche Auswirkungen hat diese verkürzte Lebensdauer der Dinge oder der Information auf unser Leben? Und wir verhalten uns eigentlich hauptsächlich nur noch verbrauchend und nicht gebrauchend gegenüber der Welt. Denn die digitalen Realitäten sind arm an den Narrativen oder an den dauernden Zeitabschnitten. Der lineare Verlauf ist sozusagen abhanden gekommen. Von daher sehe ich Schmuck als künstlerische Disziplin auch als eine Möglichkeit dieser Beschleunigung entgegen zu wirken. Die stattfindet in unseren Lebensbereichen. Und man kann entgegen wirken, in dem man diesen einzelnen Übergängen oder Gedanken, die im Leben eines Menschen sehr wichtig sind, zu thematisieren. Und ich sehe die Möglichkeit dem Denken und dem Nachsinnen über nicht alltägliche Themen einen Raum zu geben. Meine Arbeiten hinterfragen diesen Umgang, indem sie sehr filigran oder durchscheinend sind. Oder sie haben empfindliche Oberflächen.

00:10:03

C.K.: Und wie erzählt Material?

00:12:37

S.J.: Das ist eine schwierige Frage, aber ich versuche sie mal auf meine Art und Weise zu beantworten. Das Material steht ja immer im Zusammenhang mit seiner Vergangenheit, seiner Gegenwart und seiner Zukunft. Und diese Zusammenhänge aufzugreifen und in neue Kontexte zu setzen, lässt das Material in gewisser Weise erzählen. Und das Knüpfen von neuen Bedeutungsebenen, wozu Pravu Mazumdar ein gutes Beispiel beschreibt, liegt für ihn sozusagen in der Dekonstruktion überholter Werte und Bedeutungen, die von der Materialerscheinung oder der Materialoberfläche ausgehen. Es führt dann zu einer sogenannten Entschränkung wie er schreibt. Und hier kommen verschiedene Methoden zur Anwendung, die dann im Umgang mit Material liegen. Wie zum Beispiel des Verhüllens, dem Zerstören oder aber auch dem Herausstellen einer ganz bestimmten Qualität eines Materials. Vielleicht könnte man sagen es ist das Verhältnis zwischen einer Materialqualität und seiner Form. Es kann aber auch erzeugt werden, indem man eine neue Materialzusammensetzung entwickelt, die dann in ihrer Anordnung so in die Komposition führt, die einen gewissen Klang oder eine Klangfarbe wiedergibt.

00:12:41

C.K.: Welche Notwendigkeit hat Materialexperiment und Materialmanipulation in Deiner Arbeit und aus welcher Motivation heraus arbeitest du mit Deinen Materialien?

00:13:51

S.J.: Also für mich haben die Materialstudien oder Materialexperimente eine sehr sehr wichtige Rolle, da sie zum Einen in einen Prozess einführen, in dem Material auf eine gewisse Art und Weise auf den Grund gegangen wird. Und deshalb ist es in meiner Arbeit unerlässlich gewesen, dem Material Papier noch weiter auf den Grund zu gehen. In dem ich es selber hergestellt habe und geschöpft habe und es so auch viel besser steuern konnte. Wenn man viele Materialexperimente macht oder auch Manipulationen macht, dann erreicht man in der Arbeit eine Tiefe, die von Grund auf zu spüren ist. Und meine Motivation ist es, die Fragen die ich habe zu beantworten. Aber auf eine gewisse andere Art und Weise auch wieder neue Fragen zu stellen. Es ist ein ewiges Frage und Antwort Spiel. Oder eine Korrespondenz, die man führt mit den Objekten. Und es interessiert mich, wie sich mein Körper bei der Arbeit anfühlt, wenn ich die Materialien bearbeite. Und da ich seit 2018 Papier handwerklich herstelle, ist dieser Aspekt der körperlichen Arbeit sehr wichtig geworden und in den Vordergrund gerückt. Ich arbeite mit dem Metall nur noch als Ergänzung zum Papier oder als Werkzeug für die Papierherstellung, in dem ich die Gegenstände forme. Und die Arbeit am Labyrinth, in der ich die Wandelbarkeit und die unendliche Fülle an Möglichkeiten herausstellen konnte, hat mich unheimlich motiviert und interessiert. Es motiviert mich, wenn ich sehe, dass ein Konzept umsetzbar wird und mit der theoretischen Inspiration im Einklang steht.

00:14:01

A.S.R.S.: Du hast es bereits auch schon ein bisschen angedeutet und ich hätte große Lust das nochmal ein bisschen zu vertiefen. In Deiner theoretischen Ausarbeitung beschäftigst Du Dich mit schnell verbrauchten zeitgenössischen Objekten oder vielleicht auch Räumen oder Phänomenen wie dem Digitalen. Wie positionierst Du Dich zu der Haltbarkeit von Objekten, speziell in Deiner schmuckkünstlerischen Auseinandersetzung.

00:15:26

S.J.: Ja. Ich bringe meine Arbeiten in dem Medium Papier zu Aussage. Weil ich genau nach der Art und Weise der Aufbewahrung, die es erhält, auch frage. Und Themen wie die Bewahrung oder die Gabe sind wichtige Punkte in meiner Untersuchung. Metall ist ja an sich sehr langlebig und haltbar. Papier kann ja je nachdem wo es abgelegt wird, entweder verfallen und einfach verschwinden nach einiger Zeit. Oder eben wenn es bewahrt wird, die Jahrhunderte überdauern. Und die Frage nach dem Umgang mit den Materialien zu stellen ist für mich sehr wichtig. Und irgendwie gefällt es mir auch, dass meine Diplomarbeit eigentlich komplett kompostierbar ist, bis auf die Werkzeuge zur Herstellung.

00:15:59

A.S.R.S.: Zu Deinem Meisterschülerinnenstudium hast Du geschrieben, dass Du die künstlerische Tätigkeit als politische Handlungsoption begreifst. Vielleicht magst Du näher ausführen, wie sich die politische Handlungsoption für Dich in Deinem Denken und auch in Deinem Machen im Schmuck äußert, bzw. verhält? Vielleicht muss das gar nicht so explizit auch auf Schmuck bezogen sein, weil ich denke, dass es vielleicht auch so oder so eine Haltung ist.

00:16:37

S.J.: Ja, meine Arbeit meistens nicht eine explizit politische. Aber ich denke, dass jede gestaltende Arbeit eine Handlungsoption ist. Meiner Meinung nach hat jeder Raum, der frei gewählte Themen zur Diskussion stellt, eine politische Auswirkung, wenn ein Raum für die Sinnbildung geschaffen wird, der gesellschaftsbildend wirkt. Die Philosophie ist eine Theorie, aber ihr fehlt die ausführenden Praxis. Die gestaltende Arbeit ist so eine Praxis, im Sinne einer philosophischen Überlegung, um dem kritischen Denken eine Möglichkeit der Darstellung zu geben, indem es sinnstiftend wirkt. Und es ist wichtig, diese selbstverwalteten Bereiche weiter aufzubauen. Daher ist es großartig, dass ihr diesen Podcast macht, in dem es um Austausch und Vermittlung von Erfahrungen und Themen über die kulturellen Zusammenhänge geht. Und es gibt noch sehr viele Themen, über die es wichtig zu sprechen. Wie zum Beispiel über Thema der Identität, das eines der Schlüsselthemen im Schmuck ist, die die individuellen Geschichten der Schaffenden oder der Tragenden wiedergibt. Vielen Dank dafür.

00:17:11

A.S.R.S.: Du hast gerade auch total toll summiert, dass natürlich ein Sprechen über etwas in vielleicht so einem Format wie einen Podcast, aber dafür gibt es ja ganz vielfältige Räume, aber auch die Räume der Herstellung, die Räume des Denkens oder des Fühlens zu der Herstellung, ebenso die Räume in denen das repräsentiert wird, per se gesellschaftlich irgendwie eingebettet sind. Und sich dann ja auch möglicherweise gesellschaftlich verhalten und somit politisch, nicht im Sinne eines Slogans auf einem Wahlplakat, aber im Sinne von einer Äußerung in vielleicht auch einer und unbedingt auch historischen Gewordenheit oder Einbettung – sich dort eben nun mal verhalten. Und das hast Du gerade auch nochmal total gut auch pointiert.

00:18:10

S.J.: Danke.

00:19:03

C.K.: Es kommt ein kleiner inhaltlicher Sprung. Wieder zurück zu Deinen Arbeiten. Das Ritual spielt in Deinen Arbeiten ja eine große Rolle. Was bedeuten rituelle Räume für Dich?

00:19:05

S.J.: Es ist in erster Linie eine Kennzeichnung eines Raumes in Stille. Und der bedeutet für mich, dass ich ganz bei mir bin. Die Thematik des Rituals ist ein wichtiges Thema, weil es hier einen linearen Raum gibt, der einer ganz bestimmten, festgelegten Abfolge nachgeht, wie zum Beispiel in einer Teezeremonie oder eines Tanzes. Ich habe dazu eine Arbeit gemacht, die Am Eingang heißt. Es sind 16 kleine Glocken, die vor dem Betreten meiner Ausstellung mit einem Fächer in Schwingung gebracht werden können. Und historisch hat der Schmuck auch viele Verbindungen zu diesem Thema. Und ich sehe, dass das Geschichtliche durch Schmuck auch ganz anders überliefert werden kann als es etwa in einem Buch überliefert wird. Schmuck regt die Phantasie an und findet seine Narration im Material. Und der geschichtsträchtige Schmuck lässt sozusagen die Präsenz einer vergangenen Zeremonie der jeweiligen Zeit auch ganz anders aufleben. Mit der Betrachtung meiner Arbeiten möchte ich sozusagen auch einen Raum schaffen, in dem etwas aufleben kann.

00:19:15

C.K.: Wir haben in einem Gespräch im Förderverein Juliane Noack verfolgen können, dass deine Praxis und deine Gedanken geprägt sind durch geisteswissenschaftliche und philosophische Auseinandersetzungen. Wie transferierst du diese Bereiche in deine Objekte?

00:20:16

S.J.: In erster Linie interessiert mich wie die Dinge funktionieren und warum sie so sind wie sie sind und was bisher dazu gedacht wurde. Ich untersuche wie sich der Mensch im nicht Alltäglichen zu diesen Dingen in Bezug setzt. Ich versuche das substanzbezogene Denken zu hinterfragen, in dem ich den Schmuck als ein Phänomen in Gestalt der Auflösung seiner Langlebigkeit begreife. Und das schafft einen neuen Raum für seine Verortung oder seiner Tragbarkeit. Mit dem Erforschung des Denkens über die Abwesenheit betrachte ich den Gebrauch von Schmuck aus einem substanzlosen Blickwinkel. Daher verwandele ich den Schmuck in ein Werkzeug, in ein Instrument oder in ein Spiel.

00:20:30

C.K.: Du verortest Deine Arbeit im Spannungsfeld zwischen östlichen und westlichen Kulturen. In welchen Bereichen ist dieses Feld wie ausgeprägt?

00:21:11

S.J.: Ich setze Kontraste, indem ich das substanzorientierte Denken hinterfrage und mit den Themen der Abwesenheit und dem Denkmodell der Leere entgegensetze. Und das Denkmodel oder das Konzept der Leere hat im ostasiatischen Raum seine Entwicklung natürlich auch in religiöse Richtungen erfahren. Allerdings war es so 300 v.Chr ein Denken des chinesischen Meisters Zhuang, der sich mit dem Nicht-Sein, also dem substanzlosen Wesen auseinandergesetzt hat. Und Kenya Hara hat zu diesem Denkmodell Gestaltungsprinzipien und die Entwicklungsgeschichte im japanischen Raum erarbeitet. Diese Denkansätze fließen in meine Arbeit ein und finden in der Auseinandersetzung damit, dass die Moderne nicht gescheitert ist, sondern als ein nie endendes Projekt zu begreifen ist ihre Überschneidung. Insgesamt denke ich, dass ich versuche dieses Spannungsfeld in einer ganz bestimmten Anmutung zu äußern, die sich dann atmosphärisch wiedergibt.

00:21:21

C.K.: Zu der atmosphärischen Wiedergabe: Welche Rolle spielen denn sensorische Erfahrungen in Deiner Arbeit?

00:22:18

S.J.: Oft reduziere ich die sensorische Reize in meiner Arbeit auf ganz wenige, einfache Dinge wie zum Beispiel das leere Blatt Papier. Und das erscheint auch nur im ersten Moment nur leer zu sein. Denn beim Einfallen des Lichtes in den Bogen wird deutlich, dass sich dort die Abbildung befindet. In gewisser Weise schaffe ich dadurch eine Irritation zu den gängigen Erwartungen, die Schmuck mit sich bringt. Denn am Ende stellt sich die Frage: Wo ist denn hier der Schmuck? Hier sind nur Bögen und ein Buch. Und auf der anderen Seite habe ich später in meiner Arbeit die sensorischen Ereignisse erweitert und stärker herausgestellt, wie durch das große Glockenspiel, das ganz zarte Töne wiedergibt, wenn man es anklingen lässt. Oder ich habe die Kleidung aus Papier gemacht, die leicht im Wind mitschwingt. Und in der der Schmuck nur noch als Schatten durch das durchscheinende Papier zu erkennen ist. Ich habe in meiner Arbeit im Meisterschülerstudium genau so einen Raum schaffen wolle, in dem mehr als nur visuelles erfahrbar wird. Und in dem es was zu hören gibt. Ich wollte was Schwingendes mitgeben und die Erfahrung des Spielens ermöglichen. Das war mir wichtig.

00:22:24

A.S.R.S.: Was würdest Du jungen Schmuckkünstler*innen mit auf den Weg geben, aus Deinen Erfahrungen die Du jetzt die letzten Jahre gemacht hast?

00:23:30

S.J.: Ich denke es ist wichtig immer neugierig zu bleiben und sich den Fragen zu stellen, die aufkommen. Es ist auch wichtig diese selbstverwalteten und selbst aufgebauten Räume zu schaffen. Und ich denke, dass Schmuck als künstlerische Disziplin eben einen wunderbaren Anlass gibt, um ganz viele Diskussionen, die in der Gesellschaft vonstatten gehen auch einen Raum zu geben. Ich denke es ist wichtig, auch bei sich zu bleiben in der künstlerischen Arbeit. Und es gehört auch eine Menge Mut dazu. Also man könnte sagen, dass es wichtig ist auch mutig zu bleiben, auch wenn es mal schwer wird oder der Prozess irgendwie ins Stocken gerät.

00:23:40

A.S.R.S.: Vielen Dank.

C.K.: Vielen Dank.

S.J.: Ich danke euch! Vielen lieben Dank für diese Einladung.

00:24:18